Verurteilung trotz Antrag Freispruch der Staatsanwaltschaft
Heute gab es beim Schöffengericht den seltenen Fall, dass eine Verurteiltung erfolgte, obwohl Staatsanwaltschaft und Verteidigung übereinstimmend Freispruch beantragten. Die Frage der Mandanten in solchen Fällen ist oft: Ist das erlaubt?
Antwort: Leider, ja. Das Gericht ist nicht an die Anträge von Staatsanwaltschaft und Verteidigung gebunden.
Hintergrund ist der Grundsatz der freien richterliche Beweiswürdigung gemäß § 261 StPO.
Dort heißt es: “Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.”
Dieser Grundsatz wird nur durch einige Regeln, wie dem Verbot des Verstoßes gegen logische Gesetze, Verstoß gegen Beweisverwertungsverbote, Verstoß gegen wissenschaftliche Erkenntnisse etc. durchbrochen.
Jedoch hat der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 27. April 2017 (BGH 2 StR 592/16) festgestellt:
“Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts, dem es allein obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind und der Tatrichter von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit des Richters setzt allerdings objektive Grundlagen voraus, die aus rationalen Gründen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und sich nicht als bloße Vermutung erweist.”
Diese „hohe Wahrscheinlichkeit“ hatten aber weder die Staatsanwaltschaft noch die Verteidigung gesehen.
Das Gericht stützte sich bei seiner Verurteilung auf eine den DNA-Spur des Angeklagten, die dieser -unstreitig- an Alkoholika in der Wohnung hinterlassen hatte. Der Wohnungsinhaber hatte aber in der Verhandlung erklärt, dass der Angeklagte ein Freund von ihm sei, er mit ihm hin und wieder zusammen getrunken habe und auch in der Wohnung gewesen sei. Weiterhin hatte der Wohnungsinhaber erklärt, dass er sich nicht vorstellen könne, dass der Angeklagte bei ihm eingebrochen sei und außerdem nicht ausschließen könne, dass er ihm bei einem Trinkgelage einen Schlüssel für die Wohnung übergeben hat.
Zudem wurde in der Wohnung nichts gestohlen, obwohl sich noch eine Stereoanlage in der Wohnung befand, und der Täter hatte Kleidung in der Wohnung hinterlassen.
Rechtsanwalt Dr. Kaiser wies in seinem Plädoyer darauf hin, dass es absurd sei anzunehmen, dass ein Täter in eine Wohnung einbreche, weil er etwas stehlen wolle, dann aber nur die Alkoholika leer trinke und seine Kleider dort lässt. Es fehle daher mindestens an einem Diebstahlvorsatz.
Trotz der bestehenden Widersprüche und dem offensichtlich mangelnden Interesse der strafrechtlichen Verfolgung seitens des Geschädigten, verurteilte das Gericht den Angeklagten wegen versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls, da es die Aussage des Zeugen dahingehend wertete, dass er nunmehr lediglich den Angeklagten schützen wolle, zu anderthalb Jahren Gefängnis ohne Bewährung.
An Fällen wie diesem ist deutlich erkennbar, dass die Macht des Richters in einem Strafprozess vielleicht nicht endlos, aber jedoch sehr weitreichend ist.
Es ist jedoch zu bezweifeln, ob das Berufungsgericht – im Wissen, dass das Revisionsgericht die Verurteilung aufheben könnte- das Urteil nicht aufhebt.
Aus Sicht des Angeklagten und der Verteidigung war es jedenfalls ein trüber Tag für die Gerechtigkeit.